Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0230 - Im Land der Unheils

0230 - Im Land der Unheils

Titel: 0230 - Im Land der Unheils
Autoren: Wolfgang E. Hohlbein
Vom Netzwerk:
das Kaminfeuer verbreitete angenehme Wärme und flackerndes, gelbes Licht. Es roch nach Harz und schwerem, süßem Wein.
    Nicole würfelte und nickte dann zufrieden. »Eine Sechs.« Sie schob ihre Figur um sechs Felder weiter und warf den Kopf in den Nacken. Ihr langes, volles Haar flutete dabei wie eine Welle aus samtener weicher Finsternis über ihre Schultern. In ihrem spitzen Schleierhütchen und dem lose fallenden Burgfräulein-Kleid sah sie tatsächlich wie eine Fee aus, fand Zamorra.
    »Du bist dran«, murmelte Bill. Seine Lederrüstung knarrte leise, als er sich über den Tisch beugte, um seine eigene Figur zu bewegen.
    Zamorra schrak auf, griff hastig nach seinem Würfel und ließ ihn über den Tisch hüpfen.
    »Eine Zwei«, grinste Bill schadenfroh. »Unser Held hat’s an den Füßen.«
    »Keine Sorge«, antwortete Zamorra. »Spätstarter sind manchmal die Schnellsten.«
    Eine plötzliche Windböe schlug die Fenster auf. Glas klirrte, aber die Scheibe blieb wie durch ein Wunder unbeschädigt. Zamorra sprang hastig auf die Füße, eilte über den feuchten Steinboden zur Südwand hinüber und stemmte sich gegen den lose pendelnden Fensterflügel. Der Wind hatte eine erstaunliche Kraft. Es war vollends dunkel geworden, und über den Bergen im Westen hatten sich schwere, dräuende Regenwolken zusammengeballt, in denen es von Zeit zu Zeit drohend rumorte. Zamorra beugte sich vor und warf einen Blick in den still daliegenden Burghof hinunter. Die Gebäude waren verdunkelt. Die Burg lag da, als wäre sie ausgestorben. Nur aus den Ställen drang von Zeit zu Zeit das ängstliche Schnauben eines Pferdes. Die Tiere schienen das heraufziehende Unwetter zu spüren.
    »Leg den Laden vor«, riet Bill, »bevor uns der Wind die Kerzen ausbläst.«
    Zamorra nickte, griff nach dem schweren, hölzernen Laden, der neben dem Fenster an der Wand lehnte, und befestigte ihn ächzend. Dann drehte er sich um und ging langsam zu den beiden anderen zurück.
    »Du bist dran, Held«, kicherte Nicole. Sie lehnte sich zurück, schwang ihren dünnen, zierlichen Zauberstab und ließ eine Anzahl winziger Sterne über den Tisch hüpfen.
    Zamorra schob seine Rüstung zurecht und setzte sich. Sein Langschwert schlug dabei gegen das Tischbein, und die Erschütterung ließ die drei winzigen Spielfiguren durcheinanderpurzeln.
    »Paß doch auf!« schnauzte Bill. Er bedachte Zamorra mit einem wütenden Blick, griff nach seiner Figur und starrte nachdenklich auf den Spielplan. »Wo war ich jetzt?«
    »Keine Ahnung«, gestand Zamorra. »Du hattest eine Vier, und dann…«
    »Eben«, nickte Bill. »Und dann?«
    »Warst du vor oder hinter der Biegung?« fragte Nicole.
    Bill überlegte angestrengt. »Keine Ahnung«, gestand er.
    »Sehen wir doch nach«, schlug Nicole vor. Sie stand auf, deutete mit einer Kopfbewegung auf die schwere hölzerne Tür an der gegenüberliegenden Wand und ging dann langsam darauf zu.
    »Gute Idee«, knurrte Bill. Er erhob sich ebenfalls, sah Zamorra vorwurfsvoll an und schüttelte den Kopf. »Und das nächste Mal paßt du vielleicht ein bißchen besser auf.«
    Irgend etwas stimmt hier nicht, dachte Zamorra. Er spürte, wie das leise, warnende Gefühl, das die ganze Zeit über irgendwo in ihm gewesen war, langsam intensiver wurde. Aber er wußte nicht, wo er es einordnen sollte. Zögernd stand er ebenfalls auf und ging zu den beiden anderen hinüber, die sich ächzend mit dem schweren, eisenbeschlagenen Balken abmühten, der den Eingang zum Verlies sicherte. Er griff mit zu, aber selbst zu dritt schafften sie es kaum, den Riegel hochzustemmen und die schwere Tür zu öffnen.
    Trockene, abgestandene Luft schlug ihnen entgegen, vermengt mit einem unbeschreiblichen Raubtiergestank und einem Durcheinander leiser, drohender Geräusche.
    »Sehr wohl ist mir nicht bei dem Gedanken, dort hinunterzugehen«, sagte Bill, nachdem er eine Weile vor dem finsteren Eingang gestanden und in die Dunkelheit hinuntergestarrt hatte. »Aber wenn wir weiterspielen wollen, muß ich wohl… Bringst du mir eine Fackel?«
    Zamorra nahm wortlos eine Teerfackel aus dem Wandhalter. Nicole hob ihren Zauberstab. Ein dünner, weißer Blitz traf das trockene Holz und ließ es aufflammen. Aber die Dunkelheit hinter der Tür schien dadurch eher noch gesteigert zu werden. Bill machte einen zögernden Schritt in den Gang hinein, tastete mit dem Fuß nach der obersten Stufe und begann langsam und mit unübersehbarem Widerwillen die Treppe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher