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0219 - Acht Kugeln für das dritte Opfer

0219 - Acht Kugeln für das dritte Opfer

Titel: 0219 - Acht Kugeln für das dritte Opfer
Autoren: Acht Kugeln für das dritte Opfer
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erinnerte sich gut daran, daß alle ihre Freundinnen ein Auge oder gar beide auf diesen blonden, sympathischen, großen Jungen aus Amerika geworfen hatten. Florence natürlich auch, aber sie beherrschte die bessere weibliche Strategie. Alle ihre Freundinnen erglühten vor Freude, wenn Tom sie zum Tanz aufforderte. Florence sah ihn kühl an, als er sein Glück bei ihr versuchte.
    »Ich würde gern ein Glas mit Ihnen an der Bar trinken, damit Sie keinen roten Kopf zu bekommen brauchen, wenn ich Ihnen einen Korb gebe«, sagte sie in fließendem Englisch. »Aber Sie können kaum von mir erwarten, daß ich mit einem Betrunkenen tanze.«
    Das hatte gesessen. Sie erinnerte sich noch ganz genau, wie sein Gesicht steinhart geworden war. Er hatte sie aus seinen stahlgrauen Augen angeblitzt, daß sie es mit der Angst bekam. Bevor er zu einer Dummheit kam, die man angetrunkenen Männern ja immer Zutrauen muß, war sie aufgestanden, hatte sich leicht bei ihm eingehakt und schleppte ihn bereits mit sanfter Gewalt zur Theke.
    »Sie sind ein großer Dummkopf«, sagte sie ihm unterwegs mit einem Gesicht, als mache sie ihm eine Liebeserklärung, »ein großer Dummkopf, wenn Sie glauben, daß irgend jemand Sie beleidigen will. Aber Sie sollten auch uns nicht beleidigen, nur weil Sie im Augenblick hier der Sieger sind.«
    Das war der zweite Schlag, den sie ihm versetzte, und auch der saß. Florence durfte an jenem Abend sicher sein, daß er sie nicht vergessen würde — ganz im Gegensatz zu ihren Freundinnen, die alle so gleichbleibend freundlich gewesen waren, daß er sie schon am nächsten Tag nicht mehr auseinanderhalten konnte. Drei Wochen lang hatte er sie mit seinen Bitten um eine Verabredung bestürmt, das Haus ihrer Eltern geradezu belagert, bis Florence schließlich nachgab und ihm einen gemeinsamen Spa'ziergang am Sonntag-, nachmittag gewährte. Sie wußte aus weiblichem Instinkt, daß bei jedem Marm eine Festung an Wert gewinnt, je länger er gegen ihre Mauern anrennen muß Natürlich trug sie den Sieg davon, und natürlich sah es so aus, als hätte er gesiegt: Am 22. Oktober 1945 heirateten sie — gleich viermal übrigens: auf dem italienischen Standesamt, vor der amerikanischen Heeresdienststelle, in der kleinen italienischen Kapelle und vor dem amerikanischen Heerespfarrer. Und sechs Wochen später waren sie bereits in New York. Der Anfang, war schwer genug gewesen. Zwar bezahlte die Pensionskasse für heimgekehrte Frontsoldaten Toms Studium, aber es blieb kaum das Nötigste für Essen und Trinken übrig. Dann aber ging es aufwärts. Tom bekam seinen Job als Assistent des Personalchefs bei Stone & Webster. Und als der Personalchef 1956 pensioniert wurde, rückte Tojn an dessen Stelle. Jetzt gehörte er zu den ›Managern‹, er kam monatlich mit achzehnhundert Dollar nach Hause, und sie konnten gut und schön leben. Auf der Bank lagen zweiundsechzigtausend Dollar, und in vier bis sechs Jahren würden es hunderttausend sein. Denn so sehr Tom auch Amerikaner war, eines hatte er in Italien gelernt und mit nach Hause gebracht: Er wollte nicht bis an sein Lebensende arbeiten, sondern Schluß machen, sobald er genug für sie beide hatte. Und es sah sehr danach aus, als wäre dieser Zeitpunkt in wenigen Jahren erreicht.
    Dies war die Situation, als Florence Crack an jenem strahlenden Maitag 1960 gegen elf Uhr vormittags daran dachte, mit dem Lift hinabzufahren und im Kasten nachzusehen, ob Post gekommen sei.
    Sie nahm den Briefkastenschlüssel und fuhr mit dem Lift hinab in die Halle.
    Es lagen sieben Umschläge in ihrem Kasten. Eine Reklamesendung von einer Eisenwarenhandlung, die neue Liegestühle anpries. Eine Broschüre, in der Fernkurse angeboten wurden — vom Selbstbasteln eines seetüchtigen Bootes bis zum Dolmetscherdiplom in allen möglichen Sprachen. Zwei große, dicke Katalogsendungen von Versandhäusern. Ein Brief von Bill Stanford, Toms Kriegskamerad aus Oklahoma. Die Telefonrechnung.
    Und ein gewöhnlicher, hellblauer Umschlag, der keinen Absender trug. Auch keine Briefmarke. Ein Bote mußte ihn in den Briefkasten geworfen haben. Die Anschrift war mit einer Schreibmaschine getippt.
    Florence Crack nahm alles mit auf den Balkon, wo sie sich in die Sonne legte. Der Brief von Toms Kriegskamerad blieb ungeöffnet liegen. Er war an Tom adressiert, und also war es Toms Sache, ihn zu öffnen. Florence war auch nicht neugierig darauf, zu erfahren, was darin stand. Bill schrieb immer dasselbe in immer derselben
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