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02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren

Titel: 02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
Autoren: Choga Regina Egbeme
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eingetroffen. Das Schicksal hatte es nicht zugelassen, dass die beiden sich auf
    dem Boden wieder begegnen konnten, den Mutter so sehr geliebt hatte - Afrika.
    Die Angst in den Augen meiner Schwester wich einer großen Leere. Magdalena schien durch mich hindurchzublicken. „Das kann doch nicht sein“, flüsterte sie fassungslos. Sie schüttelte immer wieder den Kopf, lehnte sich müde gegen Amaras Wagen.
    All der Trubel rings um uns herum, die vielen Menschen, die lärmend und lachend in ihre Autos stiegen und hupend davonfuhren, verschwanden auch für mich hinter einer undurchsichtigen Glaswand. Es schien nur noch uns beide zu geben, zwei Schwestern, die sich kaum kannten. Zwei Fremde, die dennoch verbunden waren durch ein extrem starkes Band - unsere Mutter. Obwohl sie gestorben war, schien sie in unserer Mitte zu stehen. Zu versuchen, unsere Hände zusammenzuführen. In Wirklichkeit übernahm Amara diesen Part. Wir umarmten uns erneut. Aber diesmal hatte die Umarmung nichts mit einer Begrüßung gemein, sondern unsere Seelen fanden sich.
    Seit Mutters Tod wollte ich den Schmerz nicht zulassen. Die ganze Zeit über hatte ich immer wieder an Magdalena gedacht, dass ich für sie stark sein musste, ihr helfen, das Unbegreifliche zu begreifen. Nun fühlte ich gemeinsam mit meiner Schwester die offene Wunde, die der Verlust dieses geliebten Menschen uns zugefügt hatte.
    „Irgendwie kommt es mir so vor, als könnte sie uns jetzt sehen“, hörte ich Magdalena nach einer Ewigkeit sagen. Sie sprach mir aus der Seele. Ich wusste, wie groß Mutters Sehnsucht gewesen war, uns zusammenzuführen, ihre beiden so unterschiedlichen Töchter. Ihre Hoffnung, unser Kennenlernen möge in uns so tiefe Gefühle wecken, dass sie für ein ganzes Leben reichten.
    In jenem Glauben, in dem ich nach der Geburt meines Sohnes Joshua drei Jahre lang von weisen Frauen unterrichtet worden bin, wird gelehrt, dass die Seele eines Menschen auch
    eine Woche nach dem Dahinscheiden des Körpers noch über die Erde wandelt.
    Das konnte ich Magdalena in diesen Momenten am Flughafen zwar nicht erklären, aber genau das passierte: Mutter benutzte Amaras Hände, um Magdalena und mich für immer zu verbinden. Die weise alte Frau wusste das ebenso wie ich. Und blieb unsere stumme Beschützerin.
    Nachdem wir uns wieder voneinander gelöst hatten, fuhr Amara uns durch die nächtlichen Straßen von Lagos, meiner riesigen Heimatstadt. Magdalena und ich saßen Seite an Seite im Fond des Wagens, ließen das laute, bunte Leben vor den Fenstern vorbeiziehen, als hätte es nichts mit uns zu tun.
    „Hast du eigentlich Kinder?“, fragte ich Magdalena unvermittelt und riss sie damit aus ihren Gedanken.
    „Eine Tochter, Katharina. Sie ist 19. Letztes Jahr hat sie ihr Abitur gemacht.“

    „Wollte sie denn nicht mitkommen? Ihre Oma kennen lernen?“, fragte ich.
    Magdalena schwieg einen Augenblick. Mir blieb genug Zeit, um ihre Antwort zu erraten: Sie wollte erst einmal sehen, wie Mutter hier so lebte. Stattdessen sagte meine Schwester: „Katharina arbeitet seit ein paar Monaten in den USA als Au-pair-Mädchen.“
    Das sagte mir nichts und meine Schwester erklärte mir, was meine Nichte dort machte in dem fernen Land. Mir fiel auf, dass Magdalena keinen Ehering trug.
    Doch wir kannten uns zu kurz; ich traute mich nicht zu fragen. Sie bemerkte meinen Blick und meinte nur: „Ich bin geschieden.“
    Ich erzählte Magdalena von meinem Traum, in dem ich als kleines Mädchen versucht hatte, sie zu fangen. Und in dem sie immer viel schneller als ich gewesen war.
    „Ich wusste lange nicht, dass es dich gibt“, antwortete sie.
    „Danke, dass du gekommen bist“, sagte ich.
    Meine Schwester nickte stumm. Sie rieb sich die Augen. Ich glaube, ich fühlte dasselbe wie sie: den tiefen Schmerz, wenn man erkennt, dass man um einen Teil seines Lebens betrogen
    wurde. Verlorene Zeit kann man nicht mehr zurückholen. Man kann nur versuchen, mit Worten zu beschreiben, was dem anderen verborgen geblieben ist.
    Das Haus meiner Kindheit
    Gemessen an den enormen Ausmaßen der unaufhörlich wachsenden Stadt Lagos war der Weg vom Flughafen zum Haus meines Vaters in Ikeja recht kurz. Als Amara das Auto vor einem der Nebeneingänge anhielt, zu dem ich einen Schlüssel besaß, sah Magdalena mich verblüfft an. „Was ist das für ein Lärm?“
    Musik und Stimmengewirr erfüllten die ganze Nachbarschaft; die vom Compound ausgehende Helligkeit flutete über die zwei Meter hohen Mauern
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