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017 - Der Engel des Schreckens

017 - Der Engel des Schreckens

Titel: 017 - Der Engel des Schreckens
Autoren: Edgar Wallace
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Die tiefblauen Augen und das feine, geistvolle Gesicht kamen von ihren keltischen Vorfahren, aber auch die Grazie ihrer Bewegungen und die schlanken, weißen Hände ließen die gute Rasse erkennen, der sie entstammte.
    »Ich möchte es so gern mal sehen, wenn ich darf, Miss Lydia«, sagte Mrs. Morgan und wischte ihre Hände an der Schürze ab.
    Lydia zog eine der Schubladen des Schreibtischs auf und nahm einen großen Bogen Papier heraus. Es war eine Bleistiftzeichnung. Bewundernd betrachtete Mrs. Morgan das Bild eines maskierten Mannes, der eine Horde Angreifer mit seiner Pistole im Schach hält.
    »Das ist ja wunderschön, Miss«, sagte sie begeistert. »Ob so was heute noch verkommt?«
    Das junge Mädchen lachte und schloß die Zeichnung weg.
    »Nur in den Geschichten, die ich illustrieren muß, Mrs. Morgan«, sagte sie trocken. »Heutzutage sehen die Räuber meistens aus wie Gerichtsbeamte und kommen mit Klagen und Zahlungsbefehlen. Aber die Zeichnung war tatsächlich eine Erholung für mich. Endlich einmal keine Modezeichnung, wie sonst immer. Wissen Sie, ich werde beinahe schon krank, wenn ich nur ein Damenmodengeschäft sehe.«
    Mrs. Morgan schüttelte mitleidig den Kopf, und Lydia wechselte das Thema.
    »Ist jemand hiergewesen?«
    »Nur der junge Mann von Spadd & Newton«, erwiderte die dicke Frau seufzend. »Ich habe gesagt, Sie wären nicht da, aber ich kann so schlecht lügen.«
    Das junge Mädchen stöhnte.
    »Ob ich jemals mit all den Schulden zu Ende komme?« fragte sie verzweifelt. »Ich habe genug Klagen und Zahlungsbefehle und Rechnungen, um das ganze Haus damit zu tapezieren, Mrs. Morgan.«
    Vor drei Jahren war Lydias Vater gestorben, der wie ihr bester Freund gewesen war. Sie wußte, er war verschuldet, hatte aber keine Ahnung, wie groß seine Verpflichtungen waren. Einer der Gläubiger hatte sie am Tag nach der Beerdigung aufgesucht und anzügliche Bemerkungen über die Annehmlichkeiten eines Todes gemacht, der die Schulden George Beales mit einem Schlage wegwischte. Und diese rohe Bemerkung hatte genügt, um das junge Mädchen zu einem Schritt zu veranlassen, der ebenso töricht wie großmütig war. Sie hatte allen Gläubigern geschrieben, daß sie selbstverständlich für die Schulden ihres Vaters einstehen werde.
    Das keltische Blut in ihr hatte sie getrieben, sich eine Last aufzubürden, die sie kaum tragen konnte, aber niemals hatte sie ihre verschnelle Handlung bereut.
    Einige Gläubiger hatten die schwierige Lage des jungen Mädchens erkannt und ließen sie in Ruhe, aber andere . . .
    Als Mitarbeiterin der Moderedaktion des ›Daily Megaphone‹ bezog Lydia ein ziemlich gutes Einkommen, aber sie hätte ein Ministergehalt haben müssen, um alle die Forderungen zu befriedigen, die einen Monat später an sie herantraten.
    »Gehen Sie heute abend aus, Miss?«
    Lydia fuhr aus ihren unangenehmen Träumen auf.
    »Ja, ich muß ein paar Zeichnungen von Carfews neuen Kostümen machen. Ich bin gegen zwölf zurück.«
    Mrs. Morgan war schon in der Tür, als sie sich noch einmal umdrehte.
    »Passen Sie auf, Miss Lydia. Eines schönen Tages werden Sie aus allen Sorgen heraus sein. Sie werden sehen, daß ich recht behalte. Ich wette, Sie heiraten einen sehr reichen jungen Mann.«
    »Die Wette würden Sie verlieren, Mrs. Morgan«, antwortete Lydia. »Reiche junge Herren und arme junge Mädchen heiraten einander nur in den Geschichten, für die ich die Zeichnungen machen muß. Sollte ich wirklich einmal heiraten, dann vielleicht einen armen Menschen, der bald unheilbar krank wird und den ich dann bis an sein Ende pflegen muß. Und dann hasse ich ihn sicher so sehr, daß ich mit ihm nicht glücklich sein kann, aber er wird mir doch so leid tun, daß ich nicht weglaufen kann.«
    Als Zeichen ihrer Mißbilligung schnaufte Mrs. Morgan hörbar.
    »Übrigens möchte ich auch gar nicht verheiratet sein«, fuhr Lydia lächelnd fort. »Erst muß ich mal alle meine Rechnungen bezahlen, und bis das soweit ist, bin ich eine alte, grauhaarige Frau mit einer Schute auf dem Kopf.«
    Lydia hatte ihren Tee getrunken und stand - ziemlich spärlich bekleidet - in der Mitte des Zimmers, als Mrs. Morgan zurückkam.
    »Ich habe das ganz vergessen, Miss. Ein Herr und eine Dame haben nach Ihnen gefragt.«
    »Ein Herr und eine Dame? Wer denn?«
    »Ich weiß nicht, Miss. Ich hatte mich gerade ein bißchen hingelegt, und das Mädchen hat geöffnet. Ich hatte ihr doch eingebleut, jedem Menschen zu sagen, Sie seien nicht zu
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