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0118 - Der Drachengott von Bali

0118 - Der Drachengott von Bali

Titel: 0118 - Der Drachengott von Bali
Autoren: Franc Helgath
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weggeblasen waren. Selbst das taube Gefühl aus seinem Arm war verschwunden. Er konnte mit einem Male freier atmen. Das asthmatische Keuchen bei jedem tiefen Atemzug war weg.
    Der Chinese hatte sich noch nie gerne bewegt, doch jetzt meinte er, herumhüpfen zu müssen. Er fühlte sich bei einem Gewicht von weit über zwei Zentnern leicht wie eine Feder.
    Probehalber lief er ein paar Schritte durch den Raum.
    Tatsächlich.
    Plötzlich gefiel ihm sogar das Laufen.
    Gleichzeitig jedoch stellte sich bei ihm das Mißtrauen ein.
    Diese Veränderung sollten diese blöden Mantras bewirkt haben? Ein paar Zeilen mit seltsam abstrusen Texten?
    »O Erhabener, der aus der Tiefe kommt. Ich will sein Sokor für dich, ich will sein dein Wille, dein Arm und dein Fuß, nimm hin mein Blut und gib mir dafür deine Kraft, o Erhabener…«
    Kien LinYang schüttelte den Kopf. Jetzt bereitete es ihm auch keine Schwierigkeiten mehr, sich an den absonderlichen Zwischenfall in der letzten Nacht zu erinnern.
    An das Geschenk und an seinen Überbringer.
    Kien LinYang war kein Idiot in medizinischem Sinne, sondern eher das Produkt einer verpatzten Erziehung. Nie hatte er Verantwortung zu tragen gehabt. Nie hatte man ihm irgendwelche Leistungen abverlangt. Man war mit ihm schon zufrieden, wenn er nur da war und seine zum Teil sehr deftigen Streiche spielte. Alles wurde ihm verziehen. Diese Umstände hatten gewisse Schaltstellen in seinem Gehirn verkümmern lassen oder auch mutiert.
    Und so war auch aus Kien LinYang bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr in gewisser Hinsicht ein launenhaftes Kind geblieben, das nie gelernt hatte, daß man etwas leisten muß, bevor man sich etwas leistet. Ihm war alles immer in den Schoß gefallen. Er hatte nie zu kämpfen brauchen.
    Deshalb wunderte er sich in diesen Augenblicken auch gar nicht so sehr darüber, daß ihn jemand mitten in der Nacht aufgesucht hatte, um ihm ein Geschenk zu bringen.
    Und diese Mantras schienen tatsächlich etwas zu taugen.
    Dafür konnte man sich schon einmal ein wenig an seiner Hand saugen lassen. Kien LinYang fühlte sich so klar wie noch nie in seinem Leben. Auch mit seinem Äußeren ging eine verblüffende Veränderung vor.
    Den Bauch hatte er immer noch, doch jetzt nahm er die Schultern zurück, bog sein Rückgrat durch, und sein Bauch bekam etwas Imposantes, Ehrgebietendes.
    Kien LinYang betrachtete sich in einem mannshohen Spiegel. Nicht einmal im Nachthemd wirkte er lächerlich. Er betrachtete sich von allen Seiten. War nicht auch sein Gesicht straffer geworden? Waren seine Züge immer noch weich und verschwommen?
    Der Chinese spürte, wie eine neue Form von Kraft ihn durchflutete, ja sogar eine neue Form von Intelligenz. Mit einem Male erkannte er Fehler bei sich. Nicht im Traum wäre es ihm früher eingefallen, an sich zu zweifeln. Er zweifelte auch jetzt nicht an sich.
    Er hatte es nicht mehr nötig.
    Sogar seine Gestik hatte sich gewandelt, als er die Schriftrolle an sich nahm und sie in eine Schublade des Schrankes legte. Er würde später weiterlesen. Ganz bestimmt sogar. Er würde den Text verschlingen.
    Mit einer ihm noch ein wenig ungewohnten Klarheit erkannte er, daß der Besucher der letzten Nacht kein Gnom gewesen war und auch kein Kobold.
    Es mußte sich wohl um einen Noabiben gehandelt haben, um den Angehörigen eines fast vergessenen Bergstamms auf Bali. Ein Pygmäenvolk. Bis zum Zweiten Weltkrieg hatten sie noch ab und zu von sich reden gemacht, weil sie auf Kopfjagd gingen, doch inzwischen schienen sie diese Unsitte abgelegt zu haben. Jedenfalls hörte man nichts mehr darüber.
    Sokors Kopf stand plötzlich plastisch vor ihm. Ein runder Schädel mit Pausbacken und krausem, schwarzem Haar. Löcher in den Ohrläppchen, doch die Knochen, die vermutlich einmal daringesteckt waren, hatte er nicht getragen.
    Dann die groben Tätowierungen in den runden Wangen und an der hohen Stirn. Wenn er sich nicht täuschte, ritzten sich die Noabiben mit Messern Muster in die Haut und streuten dann scharfe Gewürze in die Wunden, so daß breite Narben zurückblieben.
    Und schließlich noch die Zähne.
    Sie waren spitz zugefeilt. Wie die Zähne eines Tigers. Nur viel kleiner. Wie die einer Echse vielleicht.
    Sokor…
    Diener der Geister…
    Kien LinYang lächelte schmal.
    Der Pygmäe hatte etwas Blut von ihm gesaugt. Er hatte sich Sokor genannt. Auch ein Diener der Geister.
    Kien LinYang erschrak nicht darüber. Er war nicht einmal mehr darüber betrofffen, denn das Erlebnis der
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