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0023 - Bei Vollmond kommt das Monster

0023 - Bei Vollmond kommt das Monster

Titel: 0023 - Bei Vollmond kommt das Monster
Autoren: Holger Friedrichs
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sein.
    Zamorra stand auf, blieb jedoch gebückt stehen und hielt das Amulett unverändert. Die Lippen des Monsters bewegten sich nun unaufhörlich, um unverständliche Sätze zu formulieren.
    Der Professor wiederholte die Beschwörungsformeln. Er schrie fast, um das stöhnende Wesen zu übertönen.
    Dann war es so weit. Das Monster sperrte das Maul auf, und plötzlich wehte eine Art Nebelschleier zwischen seinen spitzen, schief stehenden Zähnen hervor. Ein eisiger Hauch umgab Zamorra.
    Aber er behielt seine Haltung bei und hörte nicht auf, die Formeln hervorzustoßen.
    Das Schleiergebilde schwebte über dem Monster. Kurze Zeit später trieb es etwas nach rechts herüber und senkte sich auf den Erdboden hinab. Formen bildeten sich aus, Gliedmassen, ein Kopf – Zamorra und auch die weiter entfernt stehenden Ratsmitglieder und Nicole Duval schauten auf die Erscheinung einer alten Frau. Sie war durch und durch weiß, und doch ließen sich ihre Züge so deutlich erkennen, als wären sie existent.
    Die Alte war bodenlos hässlich. Ihre Haare flatterten im Wind; in dem faltigen Gesicht öffnete sich ein Mund, dessen Lippen eingefallen waren und keinen einzigen Zahn verhüllten. Ein krächzender Laut kam aus dem Mund.
    »Rosa Terinca«, sagte Zamorra, »weiche von uns – weiche von uns!«
    Sie wimmerte. Unvermittelt begann ihre geisterhafte Gestalt zu zucken und sich unter einer unsichtbaren Kraft zu winden. Immer mehr kroch sie in sich zusammen, bis sie einen gellenden Schrei ausstieß und mit unerwarteter Geschwindigkeit auf den Wald zutrieb.
    Dort riss es die unheimliche Erscheinung in die Höhe.
    Sekunden später unterbrach gleißendes Licht für einen Augenblick das Grau der Morgendämmerung. Der Geist der Alten war verschwunden.
    Zamorra nahm das Amulett hoch. Unter dem Silber war kein Widerstand mehr zu spüren, denn das Monster hatte sich versteinert und war dann zerfallen. Jetzt deutete nur noch ein Häufchen weißen Staubes von seiner Existenz.
    ***
    Professor Zamorra und Nicole Duval nahmen zusammen mit Dottore Aldo Sanchini an der Beisetzung teil. Die sterblichen Überreste des Dottore Angelo Silla wurden in einer Urne im Mausoleum zur letzten Ruhe getragen. Der Sarg, in dem seine Frau lag, fand gleich daneben einen Platz in der Familiengruft.
    Nach der Trauerzeremonie versammelten sich die drei für einige Minuten mit de Angelis, Rinaldi, Giannoni, Borgo und Patrizia Viani vor dem Friedhof von Vigliani. Die Glocken des Kirchturms schlugen zwölf Uhr.
    »Rosa Terinca war also wirklich eine Hexe«, sagte Sanchini. »Dann sind also die Erzählungen wahr, die über sie verbreitet wurden.«
    »Sicher«, erwiderte Zamorra, »man sollte allerdings die Übertreibungen wegstreichen, die die Menschen in solchen Fällen zu erzählen pflegen.«
    Der Anstaltsarzt nickte ernst. »Gut und schön. Auf jeden Fall sagte mir der Friedhofswärter, der gestern Morgen um fünf Uhr hier mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt war, dass es unter der riesigen Marmorplatte, die wir mit vereinten Kräften über das hohle Grab der Terinca gelegt hatten, einen höllischen Lärm gab. Entsetzt holte der Mann den Pfarrer und ein paar Helfer. Sie rückten die Platte beiseite und stellten fest, dass der endlose Stollen wieder bis an den Rand mit Erde gefüllt war.«
    »Meine Güte«, erschauerte die Journalistin, »ich glaube, Sie haben den richtigen Ausdruck gebraucht, wenn Sie von höllischem Lärm sprechen.«
    Zamorra hakte Nicole Duval ein. Seine Sekretärin trug an diesem sonnigen Vormittag ein schlichtes dunkles Kleid und einen dazu passenden Hut.
    »Ich hoffe, die Vorfälle haben den Beteiligten in irgendeiner Weise genutzt, wenn auch der Tod von drei Menschen zu betrauern ist«, sagte der Professor. »Ich bin der Überzeugung, dass wir wieder einmal erkannt haben, wie unzulänglich wir innerlich sind und dass es nötig ist, unsere Seele einer ständigen selbstkritischen Prüfung zu unterziehen, um gefährlichen Überraschungen vorzubeugen.«
    »Ich gebe Ihnen völlig Recht«, entgegnete der Bürgermeister de Angelis. Er schaute dabei die Ratsmitglieder an, besonders aber Quinto Rinaldi und Patrizia Viani, die beide etwas beschämt zu Boden blickten.
    ENDE
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