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0023 - Bei Vollmond kommt das Monster

0023 - Bei Vollmond kommt das Monster

Titel: 0023 - Bei Vollmond kommt das Monster
Autoren: Holger Friedrichs
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Händen an den Hals und taumelte auf das Bett zu.
    »Ich kriege dich, Mauro«, raunte es, diesmal aus einer anderen Ecke. »Und wenn ich dich habe, besitze ich endlich die nötige Kraft, um mein Werk auszuführen. Ich brauche einen Menschen, Mauro…«
    Ein Gurgeln kam über seine Lippen. Das Gesicht verzerrt, unfähig, die bebenden Mundwinkel unter Kontrolle zu bringen, wankte er auf die dem Fußende des Bettes gegenüberliegende Wand zu. Hier lehnte er sich mit der Schulter an. Langsam rutschte er an der Wand nach unten, bis er eine Art Kauerstellung eingenommen hatte. So blieb er hocken. Aber nicht lange, denn ein neues Geräusch rief wieder Grauen und Panik in ihm wach.
    Er konnte nicht anders, er musste den Kopf hochnehmen und den Ursprung des Knisterns zu ergründen versuchen. Unvermittelt zuckte er zusammen. Dann rückte er von der Wand ab.
    Es war gleich über dem Platz, an dem er eben noch gesessen hatte.
    Ein düsterer Fleck bildete sich auf der weißen Wand. Seine Farbe war grünlich; er schillerte eigenartig. Ständig breitete er sich aus, und dabei erzeugte er das Knistern. Bald hatte der Fleck die Größe eines menschlichen Kopfes.
    Mauro stieß die Finger der rechten Hand gegen den scheußlichen Fleck. Wimmernd riss er sie wieder zurück. Eine Stichflamme war ihm entgegengeleckt und hatte die Fingerkuppen buchstäblich angesengt. Etwas Rauch stieg aus dem Fleck auf.
    Mauro schlenkerte die Hand, um den Schmerz loszuwerden.
    Dann, nachdem der Rauch sich in Richtung auf die Zimmerdecke verflüchtigt hatte, schaute er wieder auf den Fleck. Diesmal hatte die abstoßende grünliche Masse Form angenommen – Umriss und Züge einer kaum menschenähnlichen Fratze. Ein zahnbewehrter Mund grinste Mauro an, und gleich darauf erscholl wieder das Kichern der Frauenstimme.
    Da lockerte sich die unsichtbare Klammer um Mauros Kehle. Ein gellender Schrei drang über seine Lippen. Brüllend rannte er zur Tür, lehnte sich mit dem Bauch gegen deren Holz und trommelte mit den Fäusten los, ungeachtet der Tatsache, dass er sich hier erst kurz zuvor die Hand an der Klinke verbrannt hatte.
    ***
    Es gehörte zu der im Laufe der Berufsjahre erworbenen Gelassenheit eines Pflegers in einer Nervenheilanstalt, nicht gleich bei dem ersten Schrei während einer Nachtwache vor Aufregung zusammenzuzucken. Wer jetzt die beiden Männer Pietro Aquila und Gino Modena heimlich beobachtet hätte, hätte weniger den Eindruck gehabt, sich in dem Staatlichen Sanatorio Monte Ciano in der Toskana zu befinden, als vielmehr die Überzeugung, die Pförtnerloge einer kleinen Fabrik oder eines Lagers betreten zu haben.
    Aquila, ein breitschultriger Mann mit vollem, rötlich gefärbtem Gesicht und angegrautem Haar, hatte nebenan in der Küche den Tee bereitet, der jetzt in einer Kanne auf dem kleinen Schreibtisch vor sich hin dampfte und darauf wartete, in Tassen gefüllt zu werden.
    Modena – er war gut zehn Zentimeter kleiner als sein Kollege und besaß eine freundliche, durch goldene Eckzähne und verschmitzte Augen geprägte Physiognomie – hatte das Schachspiel mitgebracht.
    Aquila und Modena blickten konzentriert auf die Figuren. Die Tür zum Flur stand offen.
    Aquila rückte seinen linken Turm um drei Felder nach vorn und sagte »Schach«.
    Da hörte er den Schrei.
    »Ich gehe«, meinte Modena ruhig. Er zog eine entsagungsvolle Miene und knöpfte sich den weißen Kittel zu.
    »Das war Station vier«, versetzte Aquila verdrossen, »und ich wette, ich weiß, wer da seinen Anfall hat.« Er sah auf die Armbanduhr.
    Es war 22.10 Uhr.
    Modena war aufgestanden und befand sich bereits auf dem Flur, aber Aquila eilte ihm nach. »Ich komme lieber mit«, sagte er, »in manchen Dingen kann man hier nicht vorsichtig genug sein.«
    In der Tat zählten die Stationen vier und fünf, die in diesem zweigeschossigen Gebäude des Anstaltskomplexes untergebracht waren, zu den schweren Abteilungen. Nicht alle Patienten waren reine Pflegefälle. Es gab geisteskranke Männer, denen die Ärzte eine Genesungschance zusprachen – bei richtiger Therapie. Aus diesem Grund war eine Versuchsstufe eingerichtet worden, in der nach modernen Methoden der Psychiatrie behandelt wurde; mit sinnvoller Beschäftigung und Unterbringung in Einzelschlafräumen zum Beispiel. Eben daher benahm sich Aquila etwas besorgter als gewöhnlich.
    Wieder ertönte ein Schrei, und die beiden Männer beschleunigten ihren Schritt. Laufend erreichten sie das obere Stockwerk. Jetzt vernahmen sie auch
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